Poliklinik Veddel

Modellschwerpunkt
Medizinische Versorgung
Standort
Hamburg, Hamburg
Ausgangssituation
Die Idee für den Aufbau eines Stadtteilgesundheitszentrums bestand aufseiten von Akteur_innen des Medibüro Hamburg, einer Vermittlungsstelle für Menschen ohne Krankenversicherung, bereits seit längerem und konkretisierte sich ca. 2012/13. Ein Ausgangspunkt dafür war die kritische Auseinandersetzung mit der problematischen Versorgungslage von Menschen, die keinen guten Zugang zum Gesundheitssystem haben, z.B. von Asylbewerber_innen; sowie mit dem Thema sozialer Determinanten von Gesundheit. Auf dem Medibüro-Kongress 2013 wurde die Idee erstmals öffentlich vorgestellt und diskutiert, 2014 wurde der Trägerverein gegründet. Die entstandene Projektgruppe befasste sich nun mit ähnlichen, bereits bestehenden Projekten in Europa, sowie mit der Frage eines geeigneten Standorts für eine „Poliklinik“ in Hamburg. 2015 fiel die Wahl schließlich auf die Veddel, da die Projektgruppe von verschiedenen Organisationen angesprochen wurde, die dort bereits aktiv waren, und da eine deutliche Unterversorgung in diesem Stadtteil erkannt wurde. Um diesen besser kennenzulernen, hat man Gespräche mit Akteur_innen vor Ort geführt, und 2016 eine offene Gesprächsrunde in einem Café auf der Veddel veranstaltet. An eine geeignete Immobilie gelangte man mit Unterstützung der SAGA Unternehmensgruppe, einem kommunalen Wohnungsunternehmen, auf dessen Seite ebenfalls Interesse daran bestand, eine_n Hausärzt_in für den Stadtteil zu gewinnen. 2016 erhielt die Gruppe eine Sonderbedarfszulassung für einen Kassensitz. Die Immobilie wurde saniert, und zum Jahreswechsel 2016/2017 eröffnete die Poliklinik Veddel.
Umfeld
Der Stadtteil Veddel erstreckt sich über die Elbinseln Veddel, Peute und Wilhelmsburg und ist von verschiedenen Verkehrsadern (der Elbe, verschiedenen Hafenkanälen, dem Schienennetz und den Autobahnen) durchzogen und gleichzeitig umschlossen. Bewohnt wird der Stadtteil hauptsächlich im Westen zwischen dem Bahnnetz und der A255; der große restliche Teil besteht aus Industrie-, Hafen- und Gewerbegebiet. Mit 4.704 Einwohner_innen (Nov. 2016) ist Veddel einer der kleinsten Stadtteile Hamburgs. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei 71%, auch gibt es einen relativ hohen Prozentsatz an Personen, die Transferleistungen beziehen, und die Zahl der nicht krankenversicherten Menschen kann als vergleichsweise hoch eingeschätzt werden. Die Morbidität bei mortalitätsrelevanten und chronischen Erkrankungen ist höher als in Vergleichsvierteln. In diesem Kontext ist auch die relativ schlechte medizinische Infrastruktur zu sehen. So gibt es keine Apotheke, keine Fachärzt_innen, geringe Verfügbarkeit psychologischer Beratung, und inklusive der Poliklinik nur zwei allgemeinmedizinische Praxen. Demgegenüber existieren mehrere soziale Angebote, die auch gut miteinander vernetzt sind.
Konzept
Die Poliklinik befindet sich zurzeit in einem 120m² großen Gebäude mit einer Praxis und Beratungs- bzw. Gruppenräumen. Ziel des Konzepts ist die Erweiterung und Sicherung der medizinischen sowie sozialen Versorgung im Stadtteil, wobei die Akteur_innen besondere Betonung auf das Gemeinwesen und dessen potenzielle Partizipation, sowie auf die Reflexion und Prävention übergreifender gesellschaftlicher Verhältnisse legen, welche die Gesundheit der Bewohner_innen beeinflussen. Zurzeit besteht das Angebot aus einer allgemeinmedizinischen Praxis, in der sich zwei Ärzte einen Kassensitz teilen, und in der drei nichtärztliche Mitarbeiterinnen beschäftigt sind; aus einer kostenlosen Sozial- und Gesundheitsberatung und aus einer psychologischen Beratung, wobei die letzteren beiden Angebote ehrenamtlich durchgeführt werden. Abgesehen von einer geringfügig beschäftigten Person, deren Stelle aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert wird, leistet auch der Trägerverein seine Arbeit ehrenamtlich. In diesem engagieren sich zurzeit ca. 25 Personen mit verschiedensten professionellen Hintergründen (Medizin und Pflege, Kommunikationsdesign, Linguistik, soziale Arbeit, Recht, Politikwissenschaften); eine Teamsitzung findet einmal wöchentlich statt. Zudem wurden 2017 verschiedene Präventionsprojekte umgesetzt, in denen Themen wie Stress, Rassismus oder Rechte im Zusammenhang mit Gesundheit bearbeitet werden (siehe Kooperationen).
Gründungsjahr
2016
Initiatoren
Akteur_innen aus dem Medibüro Hamburg und weitere Akteur_innen aus der Gruppe für Stadtteilgesundheit und Verhältnisprävention e.V.
Finanzierung
Ein Großteil der Arbeit wird ehrenamtlich geleistet, die Vergütung der Ärzte sowie der Praxismitarbeiterinnen erfolgt regulär im KV-System. Der Erwerb und der Umbau der Immobilie wurden zum Teil aus privaten Mitteln, zum Teil durch die SAGA Unternehmensgruppe bezahlt; zudem hat man einen Zuschuss von der Bezirksversammlung erhalten. Darüber hinaus finanziert sich die Poliklinik aus Spenden, Förderbeiträgen der Mitglieder, ein Teil der Anschubfinanzierung erfolgt - wie auch bei regulären Praxisgründungen üblich - kreditfinanziert.
Organisationsform
Gesundheitszentrum
Modellgröße und Kooperationspartner
Erste Kooperationspartner waren das Kulturprojekt „New Hamburg“ des Deutschen Schauspielhauses, und das Quartiersmanagement „ProQuartier“ der SAGA Unternehmensgruppe, die Anteil daran hatten, dass man sich für den Standort Veddel entschied. Zur Versorgung der Patient_innen arbeitet die Praxis regulär mit Fachärzt_innen, Pflegediensten und Apotheken zusammen. Im Rahmen der Präventionsprojekte erfolgten Kooperationen mit dem Projekt „CORESZON“ der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (Thema Stress und Gesundheit), mit der Beratungsstelle „empower“ (Thema Rassismus und Gesundheit) sowie mit „New Hamburg“ und der „Refugee Law Clinic“. Ein Ergebnis der letzteren Kooperation ist das Angebot regelmäßiger Beratungscafés zu verschiedenen rechtlichen Themen in einer nahegelegenen Unterkunft für Geflüchtete.
Innovative Elemente
Die interdisziplinär zusammengesetzte, ehrenamtlich engagierte Projektgruppe der Poliklinik Veddel setzt sich für eine Sicherung der medizinischen Versorgung sowie für einen Ausbau sozialer und psychologischer Beratung in einem unterversorgten Stadtteil ein. Integriert werden diese Angebote in einen populationsorientieren Ansatz, der gesellschaftliche Verhältnisse als Einflussfaktoren von Gesundheit reflektiert. Diese Verknüpfung von sozialen und medizinischen Aspekten wird in der Behandlung der Patient_innen wie auch in den verschiedenen kooperativ geleisteten Präventionsprojekten einbezogen bzw. umgesetzt. Damit leistet die Poliklinik Veddel einen Beitrag zu einer gemeinschafts- und zukunftsorientierten Gesundheitsversorgung abseits von individualisierenden Zuschreibungen.
Kontaktdaten
Jan Kaiser Am Zollhafen 5b 20539 Hamburg Telefon: 040/85416656 E-Mail: info@poliklinik1.org Homepage: www.poliklinik1.org